Ein paar Gedanken zu Diversity in der Science Fiction
Frauen dominieren das Genre?
In den letzten Jahren (sagen wir mal ab 2014) finden sich auf der Shortlist für den Hugo Award immer mehr Autorinnen, die nicht mehr das althergebrachte Schema erzählen wollen von weißen Männer, die in glorreichen Weltraumschlachten die Demokratie ins All bomben. Stattdessen ist Diversity, Gender und die Suche nach der eigenen Identität das Thema der Stunde. Ich finde das großartig, auch wenn jetzt nicht unbedingt jedes Buch bei mir stark resoniert.
Natürlich erzeugt diese „neue Welle“ von Autorinnen eine entsprechende Gegenreaktion bei den weißen, westlichen, männlichen Fans. Das reicht von verständnislosem Schulterzucken über trotzige Ablehnung bis hin zu offen ausgeführten Kämpfen auf den üblichen Kanälen.
Aber treten wir doch mal einen Schritt zurück und fragen uns, in was für einer Welt wir leben wollen. Ich für meinen Teil würde sehr gerne in einer Welt leben, in der das Geschlecht und die sexuellen Vorlieben keine Rolle im Alltag spielen. In der Menschen nicht mehr wegen ihrer Herkunft oder ihrer sexuellen Identität systematisch diskriminiert werden. In der wir alle gleichberechtigt miteinander leben und wir uns gegenseitig als das begegnen was wir sind – als Menschen.
Aber wie erreichen wir das? Es ist eine Binse, dass wir dafür neue Erzählungen brauchen. Erzählungen, in denen uns dieses Ideal als Normalität vorgeführt wird. In denen wir das uns Fremde kennenlernen und es uns weniger fremd, sondern eben normal wird. An dieser Stelle noch einmal der von mir gerne zitierte Hinweis: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe)
Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als der erste Kuss zwischen zwei Männern in der Lindenstraße eine Sensation war. Immerhin, in meinem damaligen kleinen Umfeld war es zumindest kein Skandal und das war damals schon ein wenig fortschrittlich. Dann kam „Buffy – the Vampire Slayer“ und das Coming Out von Willow gehört auch heute noch zu einer der großartigsten Episoden meiner Filmhistorie. Kurz am Rande: Ich gucke die Serie gerade zum vierten Mal durch, diesmal mit meiner älteren Tochter, und ich bin immer noch begeistert.
Sprung in unsere heutige Zeit: Inzwischen gehört Diversity zum guten Ton für alle Kulturschaffenden, die ein wenig auf sich halten. Erinnert ihr euch noch an der ersten Trailer zu „Star Wars VII“? Ein afroamerikanischer Mann und eine Frau! WTF – wo ist der weiße männliche, westliche Held geblieben? Oder zuletzt „Star Trek – Discovery“. Eine afroamerikanische Frau die Michael Burnham heißt als Protagonistin und die noch nicht einmal Captain des Schiffes ist. Und dann noch die toll und ergreifend erzählte Geschichte von Chef Ingenieur Paul Stamets und seinem Partner, dem Arzt Hugh Culber. Ich fand das wunderbar unpeinlich und unprätentiös. Aktuell schauen wir mit unserer Familie Riverdale und da sind nach meinem Empfinden die schwulen bzw. lesbischen Charaktere einigermaßen gelungen und eben nicht als Alibi-Charaktere in die Handlung eingebunden. Wobei ich mir auch vorstellen könnte, dass die LBGTQ Community das anders sieht.
Dass mir dann nicht alle Geschichten über Gender und Identität gefallen – geschenkt. Aber ich finde es doch spannend, wie neue Themen Eingang in die Science Fiction finden, auch wenn sich mich persönlich jetzt nicht immer total packen. Denn da ich ein einigermaßen wohlhabender, weißer, westlicher Mann ohne Probleme bin, lasse ich mich in meiner Einschätzung des Themas Diversity gerne von denen belehren, die es betrifft. Das erweitert meinen Horizont.
Denn genau darum geht es doch: Dass wir alten weißen Hetero-Säcke einfach mal die Klappe halten und zuhören, anstatt denen, die es betrifft auch noch gönnerhaft zu erklären, wie es laufen soll, damit wir uns nicht auf den Schlips getreten fühlen.
Gleichberechtigung hat nichts, aber auch gar nichts, mit ein paar Zugeständnissen zu tun. Ein afroamerikanischer Nebendarsteller, ein als Skandal inszenierter Kuss zweier männlicher Randfiguren oder alle drei Jahren ein Hugo für eine von Männer dominierten Shortlist ist eben keine echte Gleichberechtigung. Gleichberechtigung fängt dann an, wenn Frauen, People of Color, LBGTQ und einfach alle systematisch diskriminierten Menschen sich all das herausnehmen dürfen, was die privilegierten weißen Männer seit 2000 Jahren tun. Und dazu gehört dann auch, für ein paar Jahre mal die Hugo Shortlist zu dominieren.
So in dreißig Jahren können wir dann ja mal wieder darüber reden.
Dieser Artikle ist ein Crosspost von schriftsonar.de