Ich war auf meinem ersten WorldCon

LonCon3 - The 72nd World Science Fiction Convention

Von Donnerstag, den 14. August bis Montag (sic), den 18. August 2014 fand in London der 72. WorldCon statt. Und ich war dort. Ich habe meine Lieblingsautoren in unzähligen Diskussionsrunden erlebt, habe Einblicke in das SciFi-Fandom bekommen, war bei der Vergabe der Hugo Awards live vor Ort dabei, habe abends gefeiert, jede Menge nette Menschen aus aller Welt kennen gelernt und habe eine Gemeinschaft von Menschen erlebt, die warmherzig, offen, tolerant und aufgeschlossen gegenüber allem Neuen, Fremdartigen und Unbekannten sind, wie ich es bisher noch nie erlebt habe. Aber der Reihe nach.

LonCon3 – mehr Conference als Convention

Ich bin mit der Befürchtung zum LonCon3 gereist, dort jede Menge Fans in lustigen Kostümen zu erleben, die sich hauptsächlich über triviale Details irgendeiner Fernsehserie oder der neuesten auf 13 Bücher angelegten Space Opera unterhalten und Autoren zu treffen, die Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, Autogramme geben und ansonsten nur ihr neuestes Buch bewerben. Ich hätte mich im Vorfeld mal besser mit dem Programm beschäftigen sollen, denn selten lag ich mit meinen Erwartungen so daneben.

Es gab an jedem der insgesamt fünf Tage von morgens 10 Uhr bis abends 20 Uhr zu jeder Zeit mindestens zwanzig parallele Vorträge oder Diskussionsrunden. Die überwältigende Mehrheit davon bestand eher aus Literaturwissenschaftlichen Diskursen als aus fannischem Geplapper. Und selbst die von Fans abgehaltenen Panels waren in der Regel geprägt von einem Anspruch nach Erkenntnisgewinn, den ich so nicht erwartet hatte. Die teilnehmenden Autoren, viele davon meine Helden, entpuppten sich als genrekritische, selbstreflektierende Personen mit viel Humor und Menschenfreundlichkeit und einem außerordentlichen Bewusstsein für gesellschaftliche Prozesse und die Probleme unserer Welt. Hier hat sich einmal mehr gezeigt, dass Science Fiction Literatur weniger von der Welt von morgen als mehr von den Problemen von unserer Welt heute handelt.

Topaktuell die Panels „Internet Security 101“ und „Digital Vigilantes“ mit Ramez Naam und Cory Doctorow. Beide Autoren geben nicht nur mit ihren Büchern ein starkes Plädoyer gegen Massenüberwachung und für freiheitliche digitale Selbstbestimmung ab. Sie sind auch in der Lage, dies in den Diskussionsrunden überzeugend und mitreißend zu thematisieren. Ramez Naam sagte sinngemäß: „Ich würde den Leuten von der NSA ja vertrauen, wenn es auch nur den klitzekleinsten Hinweis darauf geben würde, dass sie sich ihrer ungeheueren Verantwortung im Umgang mit unseren Daten bewusst wären. Nur – den gibt es leider nicht.“

Ein Augenöffner in Sachen Literaturkritik war für mich „The Pleasures of a Good, Long Info-Dump“ u.a. mit Kim Stanley Robinson. Dessen unbedingt lesenswerte Mars Trilogie besteht mehr oder weniger aus vielen guten, langen, aber eben unspektakulär zu lesenden Info Dumps. Nicht unbedingt nach dem Muster „As you know Bob“, wie Moderator Jack William Bell das Panel selbstironisch eröffnete, aber eben auch nicht dem Muster „Zeigen, nicht erzählen.“ Kim Stanley Robinson machte klar, das dieses Paradigma des „Show, don’t tell“ ein eher modernes Erzählparadigma ist, das Autoren nicht einfach ungefragt beherzigen müssen. „As long as you can make an exposition interesting, it is interesting. If it works, it works.“ Die Bezeichnung Info Dump sei nur ein Etikett, das einige Kritiker benutzten um abfällig über ungelungene Expositionen zu reden. Daraus sollte man aber keine allgemeine Regel ableiten. Gerade das bewusste Spiel mit verschiedenen Erzähltechniken mache den literarischen Reiz aus und er rief dazu auf mehr mit den Formen zu experimentieren statt sich an ein vermeintliches Erfolgsrezept zu halten.

Der durchschnittliche SciFi-Fan ist ein Anderer

Der durchschnittliche SciFi-Fan (und ich zähle mich definitiv dazu) scheint auf den ersten Blick ein hyperintelligenter, sozial inkompetenter, unsportlicher, schüchterner und leicht verstörter Mensch zu sein. Auf den zweiten Blick entdeckt man dann einen aufgeschlossenen, höflich zurückhaltenden Menschen, der bereit ist allem Anderen grundsätzlich wohlwollend zu begegnen und ohne Vorbehalte zu akzeptieren. Adam Roberts bemerkte in einem Panel über Social Media, dass für die meisten Menschen die Smartphones in der U-Bahn ein Segen sind. Auf sein Smartphone zu starren um eben nicht mit völlig fremden Menschen Augenkontakt aufzunehmen zu müssen ist kein Defizit. „It’s a Feature”. Er äußerte allerdings auch Bedenken gegenüber dem „Echo Chamber“ Effekt von Social Media, die Tendenz vieler Nutzer in ihrer “Filter Bubble” zu bleiben, die die eigene Meinung verstärkt und wenig Neues zu lässt: „Social Media ist tribalising us“. Daraufhin entspann sich allerdings auf Twitter eine Diskussion, die in dem Konsens endete, mindestens 3 Personen zu folgen, deren Ansichten man nicht teilt, um der Tribalisierung entgegenzuwirken.

Durch diese Diskussion angeregt, habe ich bewusst einige Panels besucht, die sich mit Themen beschäftigen, die mir Einblicke in mir unbekannte Bereiche des Fandoms ermöglichten. Besonders erhellend war das Thema Queerbaiting, das auf fanlore.org wie folgt beschrieben wird:

„In a fannish context, queer baiting (or queerbaiting) is a term used to describe the perceived attempt by canon creators (typically of television shows) to woo queer fans by introducing a character whose sexuality seems, early on, to be coded as something other than one hundred percent heterosexual.“

Es wurden sehr viele Beispiele von Fernsehserien aufgeführt, in denen bewusst angedeutet wird, dass ein Charakter schwul / lesbisch ist, mit dem einzigen Ziel Zuschauer aus der „Queer-Community“ zu ködern und die Einschaltquoten zu erhöhen. In den allermeisten Fällen wird dann aber nicht abgeliefert. Und falls es überhaupt einmal zu einem Kuss kommt, so passiert dies dann meistens nur in einer Traumsequenz. Einer der wenigen, die es richtig gemacht haben, ist Joss Wheedon mit der Serie „Buffy“, in der Willow in der fünften Staffel ihr Coming Out hat und ab dann eine offen lesbische Beziehung mit Tara hat.

Dieses Phänomen des „Queerbaiting“ ist besonders in Fernsehserien verbreitet. Es wurde allerdings in mehreren Panels immer wieder die Forderung nach „Diversity“ laut. Es müssen nicht immer alle Figuren in einem Roman männliche, weiße, Heterohelden sein. Warum kommen in Harry Potter, der doch angeblich so ein großes Plädoyer für das Andersartige der jungen Zauberer sind, keine dunkelhäutigen oder schwul/lesbischen Personen vor? Warum können sich junge Menschen, die gerade mit ihrem Coming Out kämpfen, nicht in ganz normalen, spannenden Geschichten wiederfinden und so erleben, dass sie gar nicht so anders sind, sondern ein ganz normaler, akzeptierter Teil der Gesellschaft?

Ich habe das Gefühl, das wir in der SciFi-Literatur gerade einen spannenden Paradigmenwechsel erleben, in denen mehr und mehr lesbische / schwule / bisexuelle / transgender (LGBT) Charakter als (ähem) „normale“ Personen auftauchen. Sicher, diese Themen gab es früher auch. Aber ich glaube, dass wir uns nun endlich von dem Stadium der Toleranz, nach dem Motto „solange ich damit nicht konfrontiert werde ist es mir egal“, hin zu einem Stadium der Akzeptanz und Normalität bewegen. Wohlgemerkt nur in der SciFi-Literatur, und das auch nur in den zaghaften Anfängen.

And the Hugo goes to…

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, dass der Hugo für den besten Roman an Ann Leckie, Ancillary Justice und der Hugo für die beste Kurzgeschichet an John Chu, The Water That Falls on You from Nowhere ging. Beides Geschichten in denen das Genderthema meisterhaft thematisiert wird. Und ich war bei der Zeremonie live dabei. Die Hugo Verleihung gestaltet sich in etwa so wie die Oskar-Zeremonie. Es gibt Moderatoren und Laudatoren, Dankesreden, Tränen und Gelächter. Der Hugo ist ein Publikumspreis und wird von allen Teilnehmern des WordCon gewählt. Er ist nebem dem Nebula Award, ein reiner Kritikerpreis, der wichtigste Preis für das SciFi-Genre. Habe ich schon erwähnt, dass ich live dabei war? Ich war Teil von etwas Erhabenen.

Helsinki in 2017

Danach gab es natürlich kein Halten mehr und wir haben uns bei der Biddingparty der Finnen für Helsinki in 2017 durch die verschiedenen Alkoholspezialitäten getrunken. Die Finnen setzten alles daran, dass der WorldCon in 2017 nach Helsinki kommt. Und ich habe das direkt mal mit einem Pre-Supporting Membership unterstützt. Damit der WorldCon aber in 2017 in Helsinki stattfinden kann, müssen dafür auch entsprechend viele Leute abstimmen. Gewählt wird nächstes Jahr auf dem WorldCon in Washington, dem Sasquan. Wählen darf nur, wer ein registriertes Mitglied ist. Wer nicht nächstes Jahr nach Washington fliegen will, kann ein Supporting-Membership abschliessen, für aktuell 30 € und darf dafür dann nächstes Jahr für den WorldCon in Helsinki abstimmen. Alles klar? Ich habe an dem Abend ein paar Drinks gebraucht um das zu verstehen, bin jetzt aber voll dabei.

Und nicht nur das. Ich habe mich überreden lassen, nächstes Jahr im Sommer eine Voting Party für Helsinki in 2017 hier in Köln zu schmeissen. Ich weiss noch nicht ganz in welchem Rahmen, ob bei mir zu Hause, oder vielleicht doch in einer etwas größeren „Location“. Aber ich steh zu meinem Wort und gebe Ort und Zeit früh genug bekannt. Und wer es bis dahin nicht aushält, kann mich auf dem DortCon 2015 treffen. Bin jetzt voll assimiliert.